„Die Hausarbeit ist eine Schlüsselindustrie der Gesellschaft!“
Dieser Satz stammt von der Lohn für Hausarbeit-Aktivistin Pieke Biermann. Von ihr können wir lernen: Unbezahlte Haus- und Sorgearbeit steht keineswegs außerhalb des Kapitalismus. Sie sind im Gegenteil die Voraussetzung des kapitalistischen Lohnarbeitssystems. Haus- und Sorgearbeit produzieren und reproduzieren die Arbeiter*innenschaft und die Arbeitskraft.
Die Arbeiter*innenschaft wird ganz buchstäblich durch Sorgearbeit produziert: durch Schwangerschaft, Geburt, Kinderpflege und -erziehung werden die Menschen hervorgebracht, deren Arbeitskraft später in Form von Lohnarbeit ausgebeutet wird.
Die Sorgearbeit reproduziert aber auch die Arbeitskraft. Sie trägt dafür Rechnung, dass die Menschen immer wieder für die Lohnarbeit einsatzfähig werden. Dafür brauchen sie Essen, das jemand kochen muss; sie brauchen Kleidung, die jemand waschen muss; sie müssen ihre Probleme verarbeiten, die sich jemand anhören muss. Die unbezahlte Sorgearbeit ist das komplementäre Gegenstück zur bezahlten Lohnarbeit.
Da die unbezahlte Sorgearbeit auch heute noch hauptsächlich von Frauen und FLINTA* geleistet wird, bleibt sie ein zentrales feministisches Kampffeld. Die Kämpfe, die darauf ausgetragen werden, sind zahlreich. Von einem haben wir gerade gehört: der Kampf gegen die Ungerechtigkeiten und Spaltungen, die sich aus den globalen Sorgeketten ergeben.
Heute möchte ich nur einen weiteren dieser Kämpfe kommentieren, der gerade aufgrund eines Vorschlags von Familienministerin Paus viel Presse macht. Paus hat vergangene Woche vorgeschlagen, das Elterngeld für Paare zu streichen, die jährlich mehr als 150.000 € verdienen. Der Aufschrei ist groß. Die Regelung würde zwar max. 5% der Paare betreffen und noch dazu nur solche, die sich eine Elternzeit auch ohne staatliche Unterstützung leisten könnten. Dennoch unterzeichneten innerhalb von nur drei Tagen über 400.000 Leute eine Petition gegen Paus‘ Vorschlag. — Was ist da los? Und wie ist dieser Reformvorschlag einzuschätzen?
Was da los ist, analysierte Teresa Bücker treffend in einem Artikel für die Süddeutsche Zeitung. Sie schreibt:
„Ein Teil der Wut über die angekündigte Kappung des Elterngelds dürfte […] damit zu tun haben, dass die meisten Eltern im Alltag unter hohem Druck stehen, die Tage aus Job und Care zu lang sind und müde machen und sie in der Pandemie erlebt haben, kaum politische Unterstützung zu bekommen. […] Wut und Verunsicherung entladen sich nun über ein symbolisches Thema.“
Dabei solidarisieren sich viele Menschen gegen ihre Interessen mit den Reichen, weil sie sich unberechtigterweise von Paus‘ Vorschlag mitbetroffen fühlen.
Und wie ist der Reformvorschlag einzuschätzen?
Wir denken, im Wesentlichen erstmal so, dass er für die allermeisten Eltern nicht viel ändern würde. Das ist aber nichts Gutes. Denn es muss sehr viel geändert werden.
Das Elterngeld ist sozial ungerecht, weil es als Lohnersatzleistung konzipiert ist. Wer vorher viel verdiente, bekommt auch viel Elterngeld, nämlich bis zu 1800€ monatlich. Wer wenig verdiente, oft nur den Sockelbetrag von 300€. Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, bekommen gar nichts: Denn das Elterngeld wird auf andere Leistungen angerechnet. Das ist klassistisch und ungerecht!
Betrachtet man das Elterngeld unter einen Lohn für Hausarbeit-Perspektive, wird außerdem dieselbe Sorgearbeit unterschiedlich hoch entlohnt: Besserverdiendende cis Männer bekommen für das Kümmern ums Baby mehr Geld als die meist schlechter verdienenden Frauen und FLINTA*. Die Sorgearbeit einer Informatikerin in Elternzeit wird besser entlohnt als die einer Erzieher*in. Eltern in der Grundsicherung, Asylsuchende oder geduldete Menschen bekommen einfach gar nichts. Ihre Sorgearbeit ist dem Staat null Euro wert. Das ist sexistisch, klassistisch und rassistisch!
Statt uns über Paus‘ Vorschlag aufzuregen und sinnlose Petitionen der Klassenkämpfer*innen von oben zu unterzeichnen, sollten wir radikalere Vorschläge machen, um das Elterngeld sozial umzugestalten. Wir müssen die Kindergrundsicherung fordern! Wir müssen eine einkommensunabhängige Zahlung von Elterngeld für alle Eltern fordern! Wir müssen ein höheres Elterngeld fordern, damit schwangere Frauen und FLINTA* nicht mehr in die Abhängigkeit von ihren Partner*innen geraten!
Wir von der Gruppe Hausfriedensbruch beschäftigen uns aus materialistischer Perspektive mit Kämpfen um die Haus- und Sorgearbeit. Wir wollen verstehen, welche Funktion die Haus- und Sorgearbeit in kapitalistischen Produktionsverhältnissen übernimmt. Wir wollen analysieren, welche Gestalt die Ausbeutung der Haus- und Sorgearbeit heute annimmt. Wir wollen aufzeigen, wo sexistische, rassistische und klassistische Spaltungen entstehen. Und wir wollen dafür kämpfen, dass das alles anders wird: wir kämpfen gegen die systematische Ausbeutung der Sorgearbeit, gegen sexistische Arbeitsteilung, gegen die Spaltung von weißen und rassifizierten Frauen und FLINTA*. Und wir kämpfen auch für etwas: Wir wollen eine andere, wir wollen eine gerechtere, wir wollen eine sorgezentrierte Gesellschaft!